Texte


Geduld und Unikate 

oder

Die Rolleiflex meines Grossvaters

 

Indem mein Grossvater mir die Rolleiflex 3.5f, Jahrgang 1974, aus seinem Möbel- und Architekturbüro vermachte, legte er den Grundstein für die kommenden Jahre. Später, während den Studienjahren an der ETH Zürich, den Seminaren in Architekturfotografie, den Studieneisen und insbesondere während den beiden Auslandaufenthalten in Wien und Stockholm wurde die Rolleiflex eine treue Begleiterin.

Die Handhabung dieser Kamera lehrte mich zum Einen die technischen Grundpfeiler der Fotografie: Verschluss, Blende, Zeit, Filmkorn und -art.  Vorallem aber entwickelte ich dabei Geduld: Geduld in der Bildsuche, Geduld in der Entwicklung und Geduld in der Nachbearbeitung. Jedes der 12 Bilder eines 120erfilmes ist ein Unikat, jedes ist besonders, jedes muss überlegt sein, jedes wird mit Spannung erwartet.


Schritt für Schritt 

oder

Die dunkle Kammer*

 

Die Arbeit mit dem Mittelformatfilm in Kombination mit dem bescheidenen Budget eines Architekturstudenten brachte zahlreiche einsame Abende in der ETH-eigenen Dunkelkammer mit sich. 

Bei der Arbeit zwischen ungesunden Dämpfen, Leuchtpult, Stoppuhr und Musik aus dem Nebenraum erkannte ich, was es heisst, sich langsam, Schritt für Schritt an ein Bild heranzutasten, durch Teststreifen um Teststreifen die Faktoren zu verstehen, um so einen Ausdruck zu schärfen und dem Bild zur Essenz zu verhelfen. Ich lernte zu verstehen, dass es nicht die Beschaffenheit des Papiers alleine und auch nicht die Linse oder der Filter ist, sondern das Resultat des Ganzen, aller feinen Komponenten, die Ihren Teil dazu beitragen, eine Erinnerung, ein Gefühl in Material festzuhalten. 

Und trotz der Berechenbarkeit aller Faktoren, trotz all der Rezepte, Tabellen und Wissenschaften bleibt beim ersten Betrachten des trockenen Bildes eine Überraschung, ein Staunen. Ein Staunen über das, was geschehen ist.


Druck und Studiolicht

oder

Die Lehrjahre an der ETH

 

Während beinahe der gesamten Studienzeit war ich als Hilfsassistent beim gta-Verlag als Helfer in fast allen Belangen eingestellt. 

Diese Arbeit brachte mir die Aspekte der Dokumentation und Darstellung nahe, die des Druckes, der Farbnuancen, die des Papiers, dessen Geruchs, dessen Haptik, dessen Glanz und Gewicht, die des gebundenen Werkes.

Zeitgleich ging ich meiner Arbeit als Hilfsassistent am Lehrstuhl für Konstruktion und Architektur bei Prof. Annette Spiro nach.  Mit der Aufgabe zur fotografischen Dokumentation von ausgewählten Studentenarbeiten betraut, entstanden unzählige Architetkuraufnahmen im Massstab 1:20 bis 1:200. Ich habe mich in dieser Zeit im “Studio” - eigentlich mehr eine Abstellkammer namens Greenbox mit einem Tisch mit Hintergrund und drei Leuchten - eingelebt und dabei hunderte von Modelle leicht gedreht, den Hintergrund gewechselt, die Leuchten nochmals einzeln minimal verstellt, die Farbtemperatur abgeglichen, Aufnahmeserien mit verschiedenen Schärfentiefen geschossen, Reflektoren aus Styropor und Blenden aus Karton gebastelt und mich mit den unendlichen Finessen von Lightroom vertraut gemacht.


Komposition

oder:

Die Unlust an der Darstellung von Dingen an sich

 

Nach dem Studium bin ich bezüglich meines Lebensmittelpunktes Zürich zwar treu geblieben, beruflich hat es mich 2014 aber zuerst nach St. Gallen zur kantonalen Denkmalpflege und anschliessend 2015 in meine Heimatstadt Zofingen verschlagen, um zuerst Mitarbeiter und dann zusammen mit Ben Hengartner Partner und bald darauf Inhaber des Architekturbüros Alberati Architekten AG zu werden. Dies hat meiner fotografischen Arbeit neue Möglichkeiten eröffnet und neue Aufgaben mit sich gebracht. 

Auf ausgedehnten Reisen (Iran, USA, Japan, Vietnam, Schottland, …)  habe ich eine neue Ruhe und gleichzeitig eine neue Intensität der Fotoarbeit entdeckt. Unabhängig des Ortes bin ich aber immer auf der gleichen Suche:

Komposition, indem Objekte aus ihrem Kontext entnommen, in zweidimensionale Form überführt und so als Flächen, Verläufe, Kanten und Farben in ein neues Verhältnis gesetzt werden. 

Komposition, indem Inhalte durch den Rahmen des Bildes in Bezug zueinander gesetzt werden und zu Protagonisten, Störenden, Bedrohenden oder Fehlenden werden. Um die Darstellung der Dinge an sich geht es mir bei meinen freien Arbeiten selten bis nie.


Rohe Wände

oder

Der rechte Winkel und der Weg dahin

Die Dokumentation der Arbeiten von Alberati Architekten AG brachte eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Architekturfotografie mit sich. Auf technischer Seite unterstützte neuerdings eine Cambo Wide DS meinen Hang zu rechtwinkliger Linienführung und langwieriger Stativaufnahmen.

Dabei fand ich besonderes Interesse an den entstehenden Bauten, also unbedeckten Leitungen, unverputzten Wänden, ungedeckten Dächern, unverlegten Parketten und ungereinigten Zufahrten. 


12 Aufnahmen

oder

Digital ist besser**

 

Die Arbeit auf Zeit und Auftrag brachte den Wechsel von der analogen, zur digitalen Mittelformatfotografie mit sich (Hasselblad CFV). Obwohl dieses Medium einiges an Zeitersparnis und Effizienz mit sich brachte, blieb die Handhabung und Denkweise an der Fotografie mit dem 120er-Film und seinen 12 Aufnahmen haften: Fotografie bedeutet, eine Auswahl zu treffen. Es sollen nicht Gigabytes von Allem gehortet, sondern Bilder, für die ich mich entschieden habe, aufbewahrt werden.


Zwischen den Disziplinen

oder

Von der Möglichkeit, die Zeit zu stoppen

 

Der Werkbund Schweiz bestätigte mich in meinem Interesse an der Interdisziplinarität. Wie auch im Werkbund sehe ich auch in der Fotografie meine Begeisterung in der Verbindung der verschiedenen Wissenschaften.  Das Geräusch des Verschlusses definiert gleich dem Klicken des Sekundenzeigers einer Uhr einen einzigen, unwiederholbaren Moment, der durch durch die Gesamtheit aller Gegebenheiten zustande kam und durch die Gesamtheit der Disziplinen festgehalten wird:

Bei jeder Fotografie löst also ein örtlich beschränkter Ausschnitt eines einzgen, unwiederholbaren Momentes (Zeit) für den ich mich entschieden habe (Gestaltung) aufgrund der Gesetze der Lichtbrechung (Physik) durch den präzisen Verschluss (Mechanik und Handwerk) die selektive Umwandlung von Molekülen (Chemie) aus.


*Roland Barthes; “Die helle kammer”; (La chambre claire); Paris 1980

 ** Tocotronic, “Digital ist besser”,  Hamburg 1995